ein Beitrag von Hannah S. Scholz
Sie sitzt vor mir, ein bisschen verschlafen und ein bisschen verlegen. K. (22), eine junge (trans) Frau auf dem Weg zu ihrer neuen Stimme.
Wir haben bisher 2 Monate lang intensiv gearbeitet, K. ist sehr motiviert, an ihrer Stimme möchte sie etwas verändern. Sie macht zuhause die Stimmübungen, sie kommt regelmäßig zu den Einheiten in die Praxis und macht schnell Fortschritte – bis zu meinem Urlaub vor 4 Wochen.
„Also eigentlich habe ich nicht viel gemacht,“ sagt sie nun in unserer ersten Stunde nach dieser langen Pause, „in den ersten Tagen war ich total motiviert, aber dann hab ichs immer mehr schleifen gelassen. Ehrlich gesagt habe ich in den letzten Wochen die Übungen gar nicht mehr gemacht.“
Ihre Stimme klingt männlich, wie zu Beginn unserer Arbeit.
Das war schon ganz anders. Einen klar femininen Klang haben wir noch nicht gefunden, aber viele kleine Veränderungen in der Stimmgebung und Sprechweise erarbeiten können.
Ich freue mich erstmal über die ehrliche Antwort, und: 4 Wochen sind eine lange Zeit – ich kann verstehen, dass andere Dinge in den Fokus rücken.
Wir starten wie gewohnt mit einem Warm-up und gehen dann in die Übungen. Zunächst tut K. sich schwer; alles ist ungewohnt, nichts funktioniert so richtig. Das Hohlkreuz ist wieder hartnäckig, der Registerbruch stärker als vorher die Stimmgebung zu dick. Wir konzentrieren uns auf die Flexibilität der Beckenbodenmuskulatur, kombinieren die Übung mit dem Atem; trainieren erneut, die Randstimme durch alle Tonlagen zu führen. K. ist schon kurz davor, entmutigt zu sein, als endlich alles wieder da ist.
Wir atmen auf. Die Stimme funktioniert wie vorher und K. ist voll konzentriert bei der Sache.
Und dann – in unserer Lieblingsübung – plötzlich ein Sternmoment: Die „neue“, klar feminine Stimme blitzt durch, bleibt sogar für ein paar Silben. Dann verschwindet sie wieder.
Das sind diese Momente für die ich meine Arbeit liebe. Etwas Neues ist plötzlich im Raum, eine Stimme, nach der ich gemeinsam mit der Klientin gesucht habe, ohne zu wissen, wie sie eigentlich genau sein wird. Ich höre: Das ist feminin, das ist nicht gekünstelt, das könnte Deines sein. Wir probieren es gleich noch einmal, und wieder: eine natürliche feminine Stimme stellt sich ein. Kurz, aber sie ist da.
Ich falle fast vom Stuhl: „Hast du das gemerkt?“ frage ich, „Da war sie, die feminine Stimme!“. K. schaut fröhlich, ist aber nicht so überrascht: „Ja, das ist neulich schonmal passiert.“ – „Wie – neulich?“ frage ich, „Wann? – Ich dachte, du hast gar nicht geübt?“
„Naja, ich habe nur so rumprobiert mit den Übungen, so aus Spaß.“
Ich fange an zu begreifen. K. hat sich auf den Weg gemacht. Sie hat Neues ausprobiert, die Übungen anders kombiniert. Sie hat eigene Erfahrungen gemacht und sich getraut, ihrer eigenen Stimme zu begegnen. Die Tools, die sie aus unserer Arbeit mitgebracht hat, hat sie angewendet und während unserer langen Pause zu ihren Eigenen gemacht.
Mir wird mal wieder klar: Allein kann ich die Arbeit nicht machen. Ich kann Handwerkszeug vermitteln, ich kann Wege zeigen. Aber nur, wenn die Klientinnen sich auch auf den Weg machen, dann wird es Ihres.
„Einmal, als ich das wieder ausprobiert habe,“ erzählt sie noch, „hat mein Freund sich umgedreht und gesagt: ,Huch, dass klang jetzt aber gut, wie eine neue Person!… Ich konnte das aber dann irgendwie nicht wiederholen.“
„Und, war das so wie eben?“ frage ich.
Sie lacht: „Vielleicht?!“
Wir werden es herausfinden, ich freue mich darauf.